Cannabisklage zum Thema Capris-Studie

RAe Gerloff & Gilsbach, Immanuelkirchstr. 3-4, 10405 Berlin

421/2015 VGE

Weblink zum PDF mit der Abschrift: Cannabisklage-Gerloff-Letzter Schriftsatz-LegalisierungsKlage-2018

Berlin, den 11.09.2018

In der Sache
XXX ./. Bundesrepublik Deutschland
VG 14 K 106.15

wird ergänzend wie folgt vorgetragen:

Ende 2017 wurde die Studie der Drogenbeauftragten der Bundesregierung
„Cannabis: Potenzial und Risiken“ präsentiert. Bisher liegt nur eine
Zusammenfassung der Ergebnisse vor (Anlage 1). Die vollständige Studie
ist als Buch erscheinen und liegt seit heute hier als pdf-Datei (478 Seiten)
vor.

Letztlich wird die Studie abzuwarten sein, da die Zusammenfassung einige
Fragen offen lässt. Aus hiesiger Sicht ist die Zusammenfassung auch
durchaus tendenziös formuliert und bemüht, die Risiken des
Cannabiskonsums zu betonen. Dennoch wird selbst aus dieser
Zusammenfassung der Studie deutlich, dass das Gefahrenpotenzial von
Cannabis unter keinen Umständen das derzeit bestehende umfassende
Verbot rechtfertigen kann.

Zunächst bestätigt die Studie, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung
(auch in Deutschland) Cannabis konsumiert. Es kann davon ausgegangen
werden, dass in jeder gesellschaftlichen Schicht Cannabis konsumiert wird.
Cannabis ist damit als Genussmittel in der Gesellschaft tief verankert und
(wieder) zu einem Bestandteil der Kultur unserer Gesellschaft geworden.

Auf Seite 3 der Zusammenfassung wird erklärt, dass der Konsum von
Cannabis die Gedächtnisleistung, die Aufmerksamkeit und Psychomotorik
beeinträchtigen würde und daher insbesondere die Fahrtüchtigkeit
beeinträchtigt sei und durch den Konsum von Cannabis ein erhöhtes
Verkehrsunfallrisiko bestehen würde. Leider wird hier nicht ansatzweise
deutlich, worauf sich diese Feststellung stützt. Aus einem etwas
detaillierteren Kurzbericht zur Studie (Anlage 2) wird auf Seite 2 deutlich,
dass solche Einschränkungen bei akutem Konsum festzustellen seien.
Schon bei regelmäßigem und häufigem Konsum kann zu dieser Frage
keine eindeutige Einschätzung abgegeben werden. Es wird auch betont,
dass diese Einschränkungen stets vorübergehend sind, also unmittelbar
mit dem Konsum einhergehen und in der Regel nach Beendigung des
Konsums nicht mehr bestehen. Im Ergebnis relativiert sich diese
Feststellung also dahingehend, dass lediglich ein geringer Teil der
Konsumenten (akuter Konsum) ein nachweisbares Risiko für die besagten
Einschränkungen hat. Dafür, dass der Konsum von Cannabis generell zu
solchen Beeinträchtigungen führen könnte, gibt es keine Belege.
Zumindest aus den USA gibt es Indizien, die sogar darauf hindeuten, dass
die Feststellung der Studie unzutreffend sein könnte. Insbesondere in den
US-Bundesstaaten, wo Cannabis legal verkauft und erworben werden
kann, ist die Zahl der Verkehrstoten zurückgegangen (Anlage 3). Es liegen
also Indizien dafür vor, dass Cannabiskonsum die Verkehrssicherheit
möglicherweise sogar erhöht. Die tendenziöse Feststellung der
Drogenbeauftragten (Seite 3 unten) ist so jedenfalls nicht haltbar.

Auf Seite 4 der Zusammenfassung wird festgestellt, dass die Leistung des
Gehirns durch einen chronischen Konsum nachlassen würde. Es wird
jedoch auch festgestellt, dass diese Wirkung „umkehrbar“ sei. Selbst wenn
diese Wirkung also als gegeben angenommen würde, entfällt die Wirkung
bei Nichtkonsum wieder. Auch hier beschränkt sich das Risiko also wieder
auf einen kleinen Teil der Konsumenten (chronischer Konsum) und auch
hier wird wieder belegt, dass mögliche negative Wirkungen direkt mit dem
Konsum zusammenhängen und keine dauerhaften Schädigungen drohen.

Bei der Gelegenheit wird auch auf den Umstand hingewiesen, dass
zumindest eine Studie existiert, die aufzeigt, dass Frauen, die Cannabis
konsumieren, einen höheren IQ aufweisen (Anlage 4). Es mag
dahingestellt bleiben, ob dieser höhere IQ durch den Cannabiskonsum
ausgelöst wird – jedenfalls erscheint auch damit die These, dass Cannabiskonsum zur generellen Schwächung der Hirnleistung führe,
widerlegt.

Bezüglich des Abhängigkeitsrisikos wird auf Seite 5 unten der
Zusammenfassung festgestellt, dass ca. 9 % aller Konsumenten eine
Abhängigkeit entwickeln würden. In den Schlussfolgerungen der
Zusammenfassung auf Seite 11 wird entgegen der Feststellung auf Seite 5
behauptet, in jedem zehnten Fall würde eine Abhängigkeit entwickelt
werden. Auch hier wird eine klare Tendenz zur Dramatisierung der Risiken
deutlich. Auf Seite 6 wird zudem erklärt, dass ein Risikofaktor bezüglich der
Abhängigkeit auch der Beikonsum von Tabak sei. Es erscheint hier nicht
eindeutig, ob die Abhängigkeit nun einen klaren Bezug zum
Cannabiskonsum oder eher zum Tabakkonsum hat. Unstreitig dürfte sein,
dass das Abhängigkeitsrisiko beim Konsum von Tabak dramatisch höher
ist als beim Konsum von Cannabis.

In der Zusammenfassung auf Seite 6 wird der Eindruck erweckt, seit dem
Jahr 2006 hätte sich die Zahl der Personen, die wegen einer
Cannabissucht behandelt werden mussten, bis zum Jahr 2015 fast
verdoppelt. In dem seriöseren Kurzbericht wird auf Seite 4 darauf
hingewiesen, dass die Ursache für diese Entwicklung durchaus kontrovers
diskutiert wird. Gründe sind beispielsweise die generelle Erhöhung der
Konsumentenzahlen, eine Änderung der Zuweisungspraxis oder die
erhöhte Verfügbarkeit von Behandlungseinrichtungen. Die Annahme, dass
sich das Risiko einer Abhängigkeit generell erhöht hätte, lässt sich damit
nicht aufrechterhalten. Auch hier zeigt sich der tendenziöse Charakter der
Zusammenfassung. Im Kurzbericht wird abschließend auch darauf
hingewiesen, dass gesundheitliche Belastungen wegen des Konsums von
Cannabis lediglich rund 0,08 % der gesamten Gesundheitsbelastung
ausmachen.

Auch in der Praxis der Suchttherapie erscheint Cannabis als ein geradezu
vernachlässigbares Phänomen. So weist insbesondere der
Suchtmediziner, Dr. Thomas Rieder, darauf hin, dass Cannabis für
Erwachsene relativ ungefährlich, wenn auch nicht unproblematisch, sei
(Passauer Neue Presse, 18. Februar 2018, Facharzt für
Suchterkrankungen: Cannabis ist geringstes Problem, Anlage 5). Der
Suchtmediziner weist darauf hin, dass der Konsum von Cannabis bei
Jugendlichen und bei stark konsumierenden Erwachsenen Risiken birgt.

Insbesondere im Vergleich mit Alkohol erscheinen diese Risiken jedoch als
sehr gering.

In der Zusammenfassung auf Seite 7 wird das Bild des „Kiffers“ als
„Verlierer“ gezeichnet, wenn festgestellt wird, dass Konsumenten von
Cannabis öfter die Schule abbrechen würden, seltener studieren und
seltener akademische Abschlüsse machen würden. Erst im Nachsatz wird
erklärt, dass dies insbesondere bei Konsumenten der Fall sei, die bereits
vor dem 15. Lebensjahr mit dem Konsum begonnen hätten. In dem
Kurzbericht auf Seite 3 entsteht dagegen der Eindruck, dass letztlich
ausschließlich Konsumenten, die bereits sehr früh mit dem Konsum
begonnen haben, vom Risiko eines geringen Bildungserfolgs betroffen sein
können. Anhaltspunkte dafür, dass der Konsum bei Erwachsenen zu
geringen Bildungserfolgen führen könnte, ergeben sich aus der Studie
offenbar nicht. Im Übrigen wäre auch zu untersuchen, wie oft
beispielsweise staatliche Repressionsmaßnahmen zum fehlenden
Bildungserfolg beigetragen haben. Insbesondere die strafrechtliche
Sanktion jugendlicher Konsumenten führte und führt immer wieder dazu,
dass negative Brüche in der Biografie entstehen.

Schließlich kommt die Studie nicht umhin, auch die zahlreichen positiven
Wirkungen des Konsums von Cannabis aufzuzeigen. Auch wenn auf Seite
10 den Nebenwirkungen von Cannabis als Medizin noch einmal ein ganzer
Abschnitt gewidmet wird, muss festgestellt werden, dass die
Nebenwirkungen relativ gering sind und in jedem Fall nur vorübergehend
auftreten. Im Vergleich zu herkömmlichen Medikamenten dürften diese
Risiken für Nebenwirkungen vernachlässigbar sein.

In einem Beitrag der Internetplattform „Business Insider Deutschland“ vom
5. April 2018 (Anlage 6) wird auf das Phänomen hingewiesen, dass in
Staaten, in denen der Umgang mit Cannabis legal erfolgen kann, der
Gebrauch von Opiaten (insbesondere zur Schmerzlinderung) erheblich
gesunken ist. Dies gilt insbesondere auch für die durch Opiate
verursachten Todesfälle. Die gleichen Ergebnisse präsentiert auch das
Magazin STAT (2. April 2018, Wo Marihuana legal ist, fallen Opioid-
Verordnungen, Anlage 7; ebenso: Tikun Olam, 20. Februar 2018,
Anlage 8).

Ebenfalls in einem Beitrag von „Business Insider Deutschland“ (vom
18. März 2018) wird auf wissenschaftliche Erkenntnisse verwiesen, wonach
die Wirkungen des Cannabiskonsums auf das Gehirn, von der Intensität
her, den Wirkungen des Kaffeekonsums gleichgesetzt werden können
(Anlage 9).

In „Nature Medizin“, Heft 23, 782-787 (2017), wird auf wissenschaftliche
Erkenntnisse hingewiesen, die darauf hindeuten, dass der Konsum von
Cannabis den Alterungsprozess im Gehirn verlangsamen könnte
(Anlage 10). Auch diese Erkenntnis steht der These entgegen, der
Konsum von Cannabis würde im kausalen Zusammenhang mit
Misserfolgen in der Bildung stehen.

Es kann auch nicht oft genug betont werden, dass in den Staaten, in denen
der Umgang mit Cannabis legal erfolgen kann, die Kriminalitätsrate fällt.
Dies gilt insbesondere für Gewalttaten (The Guardian, 14. Januar 2018,
Legal marijuana cuts violence says US study, as medical-use laws see
crime fall, Anlage 11). Demzufolge fordern auch immer wieder Beamte der
Kriminalpolizei in Deutschland die Legalisierung von Cannabis
(beispielsweise in Passauer Neue Presse, 5. Februar 2018, Prohibition
nicht zielführend – Kripo-Beamte unterstützen Cannabis-Legalisierung,
Anlage 12).

In der medialen Berichterstattung wird auch immer öfter erkannt, dass das
vorgeschobene Argument der Prohibition, die Jugend müsse geschützt
werden, nicht greift. Vielmehr wird der Jugendschutz durch die Prohibition
fahrlässig kriminellen Organisationen überlassen und wird damit im
Ergebnis nicht praktiziert. Das Verbot des Umgangs mit Cannabis muss als
gescheitert betrachtet werden. Zudem muss anerkannt werden, dass der
Konsum von Cannabis längst in der Breite der Gesellschaft verankert ist
(vergleiche: Zeit online, 13. März 2018, Wer Cannabis liberalisiert, schützt
die Jugend, Anlage 13).

Nicht zuletzt ist immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Begründung
des Verbots des Umgangs mit Cannabis zu keinem Zeitpunkt auf valide
wissenschaftliche Erkenntnis gestützt werden konnte. Die Beweggründe für
das Verbot waren und sind vielmehr sachfremder Natur. Dazu wurde
bereits vorgetragen. Ergänzend wird auf den Kommentar in „Business
Insider Deutschland“, 19. März 2018, warum wurde Cannabis verboten?

Der echte Grund ist schlimmer, als ihr denkt (Anlage 14), und auf
edition.cnn, 24. März 2016, Bericht: Aide sagt Nixons Krieg gegen Drogen,
die auf Schwarze, Hippies gerichtet sind (automatisiert aus dem Englischen
übersetzt) (Anlage 15) Bezug genommen.

Generell mehren sich die Stimmen, die das bestehende Verbot des
Umgangs mit Cannabis als nicht mehr nachvollziehbar einstufen. Selbst
diejenigen, die grundsätzlich hinter diesem Verbot standen, räumen immer
öfter ein, dass das Verbot gescheitert ist. Der Konsum von Cannabis
konnte nicht eingedämmt werden; die Potenz von Cannabis hat
zugenommen; der Jugendschutz wird aus staatlicher Hand in kriminelle
Hände gegeben; gleiches gilt für den Verbraucherschutz und nicht zuletzt
wurde und wird die seriöse Forschung zu Cannabis massiv behindert
(inews, 21. Juni 2018, es ist sinnlos, medizinisches Cannabis zu
legalisieren, wenn wir uns nicht für eine vollständige Entkriminalisierung
entscheiden, Anlage 16). Nicht zuletzt die positiven Erfahrungen in
Staaten, in denen der Umgang mit Cannabis legalisiert bzw.
entkriminalisiert wurde, veranlasst viele Kommentatoren, sich für eine
Cannabis Legalisierung auszusprechen (op-online, 1. August 2018,
Kommentar: Cannabis-Legalisierung längst überfällig, Anlage 17). Nicht
zuletzt die Petition von über 80.000 Bürgerinnen und Bürgern zur
Legalisierung von Cannabis an den Deutschen Bundestag zeigt, dass das
bestehende Verbot des Umgangs mit Cannabis gesellschaftlich nicht mehr
vermittelbar erscheint (bento, Cannabis-Fans haben den Bundestag
gezwungen, endlich über die Legalisierung zu sprechen, Anlage 18;
Petition 73900, Anlage 19; Debatte im Bundestag:
https://www.youtube.com/watch?v=HQ0heEu2Rvo). Auch in den
politischen Parteien setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass
es keine vernünftigen Argumente für das bestehende Verbot gibt (Bericht
über einen entsprechenden Vorstoß der SPD: Berliner Zeitung, 20. April
2018, kiffen mit der SPD: Sozialdemokraten fordern kontrollierte Freigabe
von Cannabis, Anlage 20; Tagesspiegel, 20. Februar 2018, Cannabis-
Anträge aus drei Fraktionen – Bundestagsabgeordnete wollen das Kiffen
erlauben, Anlage 21).

Im Ergebnis ist nach wie vor festzustellen, dass es zu keinem Zeitpunkt
wissenschaftliche Erkenntnisse gab, die das bestehende Cannabisverbot
hätten rechtfertigen können. Dennoch ging das Bundesverfassungsgericht
in seiner Entscheidung von 1994 (BVerfGE 90, 145 – 226) davon aus, dass
zumindest eine unklare Lage der wissenschaftlichen Erkenntnisse gegeben
sei. Der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetz- bzw.
Verordnungsgeber, die wissenschaftliche Entwicklung zu beobachten (und
auch voranzutreiben) wird bis heute weitgehend ignoriert. Die aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisse haben schließlich nicht zu einer
nachträglichen Begründetheit des Cannabisverbots geführt, sondern legen
permanent offen, dass eine sachlich vernünftige Begründung dieses
Verbots auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht möglich ist,
ohne die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger massiv zu verletzen.

Eine Abschrift anbei
Volker Gerloff
Rechtsanwalt

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